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Nach wie vor: Hartz IV muss weg!

von Birgit Wöllert

Meist unbemerkt entscheidet der Bundestag über Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses, Anliegen betreffend, die Bürgerinnen und Bürger an die Regierung herantragen. In dieser Woche sollte auf diesem unauffälligen Weg auch die Petition den Bundestag passieren, mit der die Abschaffung der Hartz-IV-Sanktionen gefordert wird und die fast hunderttausend Menschen mit ihrer Unterschrift unterstützt haben.

Zumindest konnten wir erreichen, dass diese Petition im Bundestag debattiert wird, auch wenn wir die Ablehnung durch die Regierungskoalition nicht verhindern konnten. Mit einem Debattenbeitrag unserer Parteivorsitzenden Katja Kipping und mit schriftlichen und mündlichen Erklärungen der LINKEN Abgeordneten im Petitionsausschuss konnten wir unsere Ablehnung der Hartz-IV-Sanktionen einmal mehr deutlich machen. 

Im Folgenden die Erklärung zur Abstimmung, die ich dem Bundestag vorgelegt habe:

Birgit Wöllert, MdB (LINKE)

Schriftliche Erklärung nach §31 

der Geschäftsordnung des Bundestages

Schriftliche Erklärung nach § 31 GO des Bundestages zu Top 26 am 29. 04. 2016 zur Abstimmung über die Empfehlung des Petitionsausschusses Sammelübersicht 289 (Drucksache 18/8092) zur Petition 4-18-11-81503-001721, Hannemann (mit der Forderung, die Normen im zweiten Buch Sozialgesetzbuch und im zwölften Buch Sozialgesetzbuch ersatzlos zu streichen, die Möglichkeiten von Sanktionen bzw. Leistungseinschränkungen vorsehen).

Dem ablehnenden Abschluss der Petition von Frau Hannemann kann ich nicht zustimmen. Die Petentin fordert mit guten Gründen die Abschaffung der Sanktionsregelungen bei Hartz IV (SGB II) und in der Sozialhilfe (SGB XII). 

91.500 Menschen haben die Petition unterstützt. Frau Hannemann hat in einer öffentlichen Sitzung des Petitionsausschusses aus ihrer Erfahrung als langjährige Mitarbeiterin in einem Jobcenter in Hamburg deutlich gemacht, dass Sanktionen die Leistungsberechtigten nicht nur entwürdigen sondern auch Elend und Ausschluss statt Hilfe und Unterstützung bedeuten.

Sanktionen stellen eine Unterschreitung des menschenwürdigen Existenzminimums dar. Es ist nicht zu akzeptieren, wenn in einem reichen Land wie Deutschland Menschen – trotz anerkannter Hilfebedürftigkeit – existentieller Not bis hin zu Obdachlosigkeit ausgesetzt werden. Mit Bezug auf das Bundesverfassungsgericht wird ausgeführt, dass die Garantie des menschenwürdigen Existenzminimums durch die Menschenwürde und das Sozialstaatsgebot ein zwingender Auftrag an den Staat ist. Das Existenzminimum ist stets und zu jeder Zeit zu garantieren, so die Urteile. Mit diesem Grundrecht ist eine Unterschreitung des menschenwürdigen Existenzminimums durch Sanktionen nicht zu vereinbaren. Diese Einschätzung der Petentin wird mittlerweile auch vom Sozialgericht Gotha (S 15 AS 5157/14) geteilt. Das Sozialgericht führt die verfassungsrechtlichen Bedenken an den Sanktionsregeln bei Hartz IV aus und hat die Frage dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Zudem sind Hartz-IV-Sanktionen grundrechtswidrig, weil sie das ohnehin zu geringe Existenzminimum kürzen. Sie verletzen das Recht auf Berufsfreiheit, weil schon die Sanktionsandrohung einen faktischen Zwang ausübt, einer nicht frei gewählten Arbeitstätigkeit nachzugehen.

Hinzu kommt, dass jedem dritten Widerspruch und 40% aller Klagen gegen Hartz-IV-Sanktionen stattgegeben wird. Hier entstehen hohe Kosten, die bei Abschaffung der Sanktionen wirksamen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen zugutekommen könnten.

Statt Hilfe und Unterstützung bei ihren eigenen Anstrengungen erfahren die Menschen in den Jobcentern einen bürokratischen Apparat, der sie entwürdigt und maßregelt. Es fehlt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Jobcenter massiv an Zeit, um auf die individuellen Nöte und Bedürfnisse der hilfeberechtigten Personen einzugehen. 

Menschen, die von Sanktionen betroffen sind, haben nur selten die Möglichkeit, die finanziellen Einbußen zu überbrücken. Die Folgen sind abzusehen und belegt: Durch Leistungskürzungen werden Betroffene in die soziale Isolation getrieben, der Weg zurück auf den Arbeitsmarkt und in die Mitte der Gesellschaft wird erschwert oder gar verhindert. Viele, besonders junge Erwerbslose, brechen nach Sanktionserfahrungen ihren Kontakt zu den zuständigen Behörden ab und verschwinden damit sowohl aus der Statistik als auch aus den öffentlichen Unterstützungssystemen. Positive Effekte auf den Arbeitsmarkt sind dagegen nicht spürbar.

Aus den vorgenannten Gründen stimme ich gegen die Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses, das Petitionsverfahren abzuschließen.