Stellungnahme der Kinderkommission des Deutschen Bundestages zum Schutz von Flüchtlingskindern vor sexueller Gewalt in Flüchtlingsunterkünften
von Norbert Müller
Die Kinderkommission des Deutschen Bundestages hat auf Anregung des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Herrn Johannes-Wilhelm Rörig und auf meine Initiative als Vorsitzender der Kinderkommission hin, am 24. Februar 2016 ein Expertengespräch zum Schutz von Flüchtlingskindern vor sexueller Gewalt in Flüchtlingsunterkünften durchgeführt. Als Ergebnis dieses Gespräches und nach intensiver Debatte hat die Kinderkommission im Konsens aller Fraktionen eine Stellungnahme verabschiedet, welche dem Bundesminister des Innern und den Innenministern der Länder zugegangen ist.
Kinder stellen einen beträchtlichen Anteil der Geflüchteten in Deutschland dar. In den Flüchtlingsunterkünften müssen sie ein Umfeld vorfinden, in dem sie bestmöglich geschützt werden. Der erste Schritt hierzu wäre, internationale Mindeststandards bei der Unterbringung einzuhalten. Die EU-Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU fordert dafür in Art. 18 die Gewährleistung eines angemessenen Lebensstandards, zu dem unter anderem gehört, dass geschlechts- und altersspezifische Aspekte sowie die Situation von schutzbedürftigen Personen berücksichtigt werden. Speziell zum Schutz vor sexueller Gewalt fordert die Richtlinie geeignete Maßnahmen, damit Übergriffe und geschlechtsbezogene Gewalt in den Unterkünften vermieden werden.
Derzeit sind Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünfte keine geeigneten Lebensorte für Kinder.
Die Kinderkommission erkennt, dass die geltenden Regelungen des Asylgesetzes für Minderjährige hinter den Schutzvorgaben der EU-Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU zurückbleiben, wodurch kein ausreichender Schutz vor geschlechts- und altersspezifischer Gewalt einschließlich sexualisierter Übergriffe und Belästigung besteht. Es ist sinnvoll, Regelungen für personelle und räumliche Mindeststandards bei dem Betrieb von Flüchtlingseinrichtungen zu entwerfen, in denen sich Minderjährige aufhalten. Um eine dem Kindeswohl entsprechende körperliche, geistige, seelische, sittliche und soziale Entwicklung des Kindes zu ermöglichen, empfiehlt die Kinderkommission dem Bundesminister des Inneren und den Innenministern der Länder, das Asylgesetz dahingehend zu ändern, dass Länder oder die Träger von Aufnahmeeinrichtungen verpflichtet werden, folgende Maßnahmen umzusetzen:
1. Die im Asylpaket II getroffene Regelung zur Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses ist als alleiniges Schutzinstrument nicht ausreichend. Für einen echten Schutz von Kindern in Flüchtlingsunterkünften sind Führungszeugnisse zwar wichtig, aber es geht um viel mehr: Gewaltschutzkonzepte für alle Unterkünfte, Schutzbereiche für Kinder und Frauen, Informationen über mögliche Anlaufstellen und die Schulung der Sicherheitskräfte, um rechtzeitig Gewalt zu erkennen und richtig zu reagieren. Aufnahmeeinrichtungen, in denen Kinder und Jugendliche leben, müssen genau wie alle anderen Einrichtungen mit Kindern und Jugendlichen dem Bundeskinderschutz-gesetz und den Erfordernissen des SGB VIII entsprechen.
2. Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünfte sind ein Lebensraum für junge Geflüchtete. In ihnen sollten geeignete Maßnahmen zur Sicherung der Rechte und zum Schutz von Kindern und Jugendlichen entwickelt, angewendet und überprüft werden. Dafür bedarf es entsprechender Schutzkonzepte in allen Einrichtungen, in denen Kinder verkehren. Die Träger der Einrichtungen sollen im Rahmen von Gewaltschutzkonzepten Qualitätsmerkmale erfassen, die der jeweiligen Situation vor Ort angemessen sind. Eine Orientierung für die Qualitätsmerkmale bieten die Empfehlungen zu Mindeststandards zum Schutz von Kindern vor sexueller Gewalt in Flüchtlingsunterkünften des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs. Dazu gehört auch, dass das in Flüchtlingseinrichtungen eingesetzte Personal im Umgang mit Kindern und Opfern von Gewalt angemessen geschult ist und im Verdachtsfall sexualisierter und sonstiger Gewalttaten schnell reagieren kann. Hilfreich sind hierfür standardisierte Notfallpläne. Beratungs- und Beschwerdemechanismen müssen möglichst niedrigschwellig gestaltet werden.
3. In Einrichtungen, in denen Kinder untergebracht sind, bedarf es räumlicher Mindeststandards, die folgende Bedingungen erfüllen:
• Wohnräume müssen für Bewohnerinnen und Bewohner von innen verschließbar sein. Der Träger einer Flüchtlingseinrichtung muss im Notfall Zugang zu den Räumlichkeiten haben.
• Es bedarf nach Geschlechtern getrennte Sanitäranlagen.
• Flüchtlingseinrichtungen, in denen sich Minder-jährige aufhalten, müssen betreute Schutzräume für Kinder vorhalten.
• In den Einrichtungen müssen kultursensible, kindgerechte Informationen in allen relevanten Sprachen über die Schutzrechte und Ansprüche von Flüchtlingskindern verfügbar sein.
4. Die Bundesländer müssen geeignete Maßnahmen zur Kontrolle von Trägern von Flüchtlingsunterkünften erlassen.
5. Der Bund und die Länder müssen ausreichende finanzielle Mittel bereitstellen, um die Träger zur Umsetzung der baulichen und personellen Schutzstandards zu befähigen.
6. Die UN-Kinderrechtskonvention gilt auch für geflüchtete Kinder und Jugendliche. Sie haben dementsprechend ein Recht darauf, von Beginn an Zugang zu Bildung, Spielangeboten, medizinischer Versorgung oder psychosozialer Unterstützung zu bekommen. Dies fördert auch ihre Integration.
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