Jeder Suizidversuch ist ein überhörter Hilfeschrei
von Birgit Wöllert
Mit 10.200 ist die Zahl der Suizide in Deutschland höher als die der Opfer von Verkehrsunfällen, AIDS oder einer Überdosis illegaler Drogen und Gewalttaten zusammen.
Hinzu kommt: es unternehmen jedes Jahr weit über 100.000 Menschen einen Suizidversuch. Diese hohe Zahl der Suizide und Suizidversuche muss uns alarmieren. Sie offenbart den dringenden Bedarf an Unterstützung von Menschen in Notlagen.
Aus diesem Grund hatten sich Maria Klein-Schmeink (GRÜNE), Dirk Heidenblut (SPD) und ich zu einer gemeinsamen Pressekonferenz am 6.9.2016 verabredet. Dort haben wir eine Erklärung vorgestellt, deren Inhalt mit dem Nationalen Suizidpräventionsprogramm (NaSPro) abgestimmt war. Das NaSPro, gegründet 2002, besteht aus mehr als 90 Organisationen. Es verfolgt das Ziel, die Suizidprävention zu verbessern. Es soll dabei unterstützen, wirkungsvolle, regional angepasste Strukturen zur Erkennung und Behandlung suizidgefährdeter Menschen sowie die Versorgung von Personen nach einem Suizidversuch zu schaffen. Trotz der Beteiligung der Bundesregierung, des Bundestags und der Bundes- und Länderministerien am NaSPro gibt es bei der Suizidprävention immer noch erheblichen Nachholbedarf, auch weil die Vorschläge des NaSPro nicht ausreichend verwirklicht werden.
Es bedarf verbesserter Beratungs- und Unterstützungsangebote, die sich an den individuellen Bedürfnissen der Menschen in Krisen orientieren. Bekannt ist, dass 70% der späteren Suizidenten in den 14 Tagen vor dem Suizidversuch ihre hausärztliche Praxis aufsuchen, häufig mehrfach. Sie äußern aber ihre Probleme und Suizidgedanken nicht. Deshalb muss in der Aus-, Fort- und Weiterbildung aller Gesundheits- und Sozialberufe das Thema Suizid stärker verankert werden.
Auch bauliche Maßnahmen an Gebäuden oder Brücken könnten helfen. Diese würden nicht einmal viel kosten. Denn es gibt nur wenige hohe Brücken oder Gebäude, die häufig für Suizidversuche genutzt werden.
Zudem bedarf es einer breit angelegten Kampagne zur Aufklärung der Bevölkerung über Suizidalität. Schwerwiegende Probleme und Suizidabsichten werden häufig zuerst von Menschen in der näheren Umgebung bemerkt – aber aus Angst, den Betroffenen zu nahe zu treten nicht angesprochen. Die Fachleute des NaSPro wiesen demgegenüber mit Nachdruck darauf hin, dass die sensible Ansprache von Betroffenen diesen das Gefühl vermittle, mit den Problemen nicht allein zu sein. Ein solches Gespräch ist damit einer der wichtigsten Schritte zur Vermeidung von Suizidversuchen.
Auch soziale Gründe können eine Rolle spielen. Dazu gehören Arbeitslosigkeit, drohende Obdachlosigkeit sowie die Angst von Pflegebedürftigen, ihren Angehörigen zu sehr zur Last zu fallen. Zur weiteren Senkung der Suizide und Suizidversuche bleibt also noch viel zu tun.