„Wir sind auf der Suche“
von Harald Petzold
Mit diesen Worten eröffnete Mariela Castro Espín, die Tochter des kubanischen Staatschefs Raul Castro und Präsidentin des kubanischen Instituts für sexuelle Bildung und Erziehung CENESEX, das diesjährige 2. Internationale Symposium `ihres´ Instituts. Im nächsten Jahr feiert dieses seinen 30. Geburtstag und ist inzwischen weder aus den internationalen Diskursen über Fragen der Geschlechtergerechtigkeit und -gleichstellung im lateinamerikanisch-karibischen Raum wegzudenken, noch aus den nationalen Diskussionen über Entwicklungswege der kubanischen Gesellschaft. Jede*, die Kuba kennt und seinen Weg nicht nur aus der besserwisserischen Perspektive der reichen Industriestaaten des Nordens beurteilt, weiß, dass es an und für sich noch nichts Neues bedeutet, dass in Kuba über solche Wege nachgedacht wird. Spätestens seit dem Zusammenbruch der sogenannten real-sozialistischen Ländergemeinschaft war der Satz von der Suche, auf der das Land sei, zum geflügelten Wort geworden. Diesmal scheint die Sache anders zu sein.
Bereits die Themen des Symposiums lassen aufhorchen: Gewalt der Geschlechter, Prostitution, Sex-Tourismus und Menschenhandel – dem Gedenken an Berta Cáceres gewidmet, einer engagierten Kämpferin für die Rechte von Mädchen und Frauen, Indígenas, Minderheiten und eine nachhaltige, ressourcenschonende Entwicklung in Honduras, die 2013 von nach wie vor nicht ermittelten Killern ermordet wurde. Bisher für tabu erklärte gesellschaftliche Phänomene für die Inselrepublik in der Karibik werden öffentlich diskutiert, noch dazu mit internationaler Beteiligung aus allen lateinamerikanischen Staaten, aus Schweden und der Bundesrepublik. An deren Beiträgen ist im Übrigen zu erkennen, dass Mariela Castro und ihr Institut offensichtlich nicht erst mit dem Tod ihres Onkels Fidel mit der Vorbereitung und Planung des Symposiums begonnen haben, sondern diese Themen genauso unverblümt auf die Tagesordnung gesetzt hätten, wenn er noch lebte. Denn ihnen geht es – wie so oft in der Geschichte dieser Einrichtung – um gesellschaftspolitische Fragen: Welche Entwicklungsrichtung soll in Kuba eingeschlagen werden? Was sind seine Werte? Welche sollen eine Chance erhalten? Von welchem Menschenbild geht die Gesellschaft aus? Riskiert das Land eher dann einen Absturz, wenn seine Öffnung allein eine neoliberal geprägte sein sollte, in der alle Lebensumstände und -bereiche zur Ware werden, verbunden mit den uns inzwischen hinlänglich bekannt sein dürfenden Phänomenen und Nebenwirkungen?
Die Debatten lassen erkennen: Das wird keine Diskussion für Verwöhnte. Hier stehen Privilegien auf dem Spiel, Zugang zu und Verfügungsgewalt über Ressourcen und Machtverhältnisse. Jene werden nicht ohne Widerstand, einfach so im Vorbeigehen abgegeben.
Eine unverstellte Analyse ist Ausgangspunkt für erfolgreiche Entwicklungen. Indem die Dinge beim Namen genannt und ihren Ursachen und Wurzeln nachgegangen werden. Indem andere Sichten als bereichernder Faktor wahrgenommen werden, und nicht als Konkurrenz, u.a. in der Auseinandersetzung um knapper werdende Ressourcen. Und so ist die aktuelle Diskussion am kubanischen Institut für sexuelle Bildung und Erziehung über sexuelle und Geschlechtergewalt, über Prostitution, Sex-Tourismus und Menschenhandel viel mehr als nur eine Debatte nach dem Motto: „Schön, dass wir mal darüber geredet haben.“