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Das SGB VIII zur Geisterstunde

von Norbert Müller

In der Nacht von Donnerstag zum Freitag kam es gegen Mitternacht – sozusagen zur Geisterstunde – im Plenum des Deutschen Bundestages zur ersten Lesung des sogenannten Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes – im allgemeinen Sprachgebrauch die SGB VIII – Reform. Dahinter verbirgt sich der Versuch, die Kinder- und Jugendhilfe - also Kindergärten und Krippen, Jugendclubs, Kinder- und Jugendverbände, Familienhilfe, Erziehungsberatungsangebote sowie die öffentlichen Träger der Jugendhilfe, ergo das Jugendamt und viele weitere Bereiche – in ihren Grundzügen umzugestalten.

Dass dieses Gesetz zu so einer „prominenten“ Uhrzeit verhandelt wird, steht symptomatisch dafür, welche Bedeutung das einbringende Familienministerium einer öffentlichen Auseinandersetzung einräumt. Immer wieder wurde Ministerin Schwesig in den vergangen Monaten dafür gerügt, wie sie mit der politischen und fachlichen Öffentlichkeit umgeht. So kursierten bereits acht (!) Vorentwürfe, die die gesammelte Fachwelt in Alarmbereitschaft versetzten, bevor das Gesetz jetzt erstmals im Parlament verhandelt wurde. Mit einer Frist von lediglich fünf Tagen hatten die Fachverbände zuvor die Gelegenheit Stellung zu beziehen. Paradoxerweise wird das Ministerium dennoch nicht müde, sich selbst dafür auf die Schulter zu klopfen, wie transparent und beteiligungsorientiert das Gesetz zustande gekommen sei – zuletzt beim Deutschen Kinder- und Jugendhilfetag, als die versammelte Fachwelt dem Ministerium eine schallende (verbale) Ohrfeige für Form und Inhalt des Gesetzespaketes erteilte.

Auch wenn der jetzige Entwurf im Lichte der katastrophalen Vorentwürfe milde erscheint, hat er es dennoch in sich. So sehen Träger der offenen Jugendarbeit, die vor allem durch ehrenamtliche Arbeit gestemmt werden, sich durch neu eingeführte Meldeauflagen massiv in Ihrer Existenz gefährdet. Ein anderer Teil der Reform sieht vor, Wohngruppen unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter, mittels von Länderöffnungsklauseln, quasi in eine Jugendhilfe zweiter Klasse zu überführen – ein empörender Vorgang. Zumal Ministerin Schwesig noch im Dezember 2016 betonte, mit Ihr werde es genau so eine Regelung nicht geben. Und auch längst überfällige Ansätze wie die Schaffung von Ombudsstellen haben nur halbherzig Eingang gefunden, da sie lediglich auf freiwilliger Basis eingerichtet werden können und auch keine Unabhängigkeit von den Jugendämtern gefordert ist, sodass selbst im bestmöglichen Fall am Ende die Überwacher sich selbst überwachen.

Zu befürchten ist leider auch, dass in dem völlig übereilten Gesetzgebungsverfahren noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht ist. So liegen bereits jetzt 60 Änderungsanträge von Seiten der Länder für die Befassung im Bundesrat vor. Ähnliches steht auch im Bundestag zu befürchten, um öffentlich unbeliebte Forderungen per Overnight-Express doch noch ins Gesetz zu bugsieren.

Bevor das SGB VIII 1990 eingeführt wurde, waren 20 Jahre intensiver fachlicher und politischer Auseinandersetzung vorausgegangen – herausgekommen ist eine wirkungsvolle, fachlich fundierte gesetzliche Grundlage für die wichtige Arbeit in der Kinder- und Jugendhilfe. Sicherlich gibt es auch hier Reformbedarf, erst Recht mit dem Hinblick auf eine notwendige inklusive Ausgestaltung des Gesetzes. Solch einen Prozess im Hau-Ruck- Verfahren und ausschließlich unter Kostengesichtspunkten zu gestalten, ist jedoch zum Scheitern verurteilt.